Die Formelsammlung zu Explosionsdruckwellen ist ein Teil der Formelsammlung, in der auch Formeln zu anderen
Fachbereichen zu finden sind.
Modell für Detonationswellen im homogenen Luftraum
DNA-Standardkurve für OP und DP
Der von der früheren US-Behörde Defense Nuclear Agency (DNA) entwickelte Standardkurve für die Druckwelle einer 1-Kilotonnen-Explosion liegt die folgende Beziehung zwischen dem
Abstand R vom Explosionszentrum und dem Druckpegel OP zugrunde, wobei von einer Freiluftexplosion in einer homogenen unbegrenzten Atmosphäre unter Meeresniveaubedingungen
(P = P0 = 101325 Pa und T = T0 = 288,15 K) ausgegangen wird:
Dabei ist R in m einzusetzen (der Übersichtlichkeit wegen wurde auf die Einheiten-Divisoren in der Formel verzichtet), und das Ergebnis ist OP in Pa. Der dynamische Druck ergibt sich aus
wobei n das Dichteverhältnis vor und hinter der Stoßfront und P der Druck der ungestörten Atmosphäre ist. Für Luft ist
κ ist der Adiabatenexponent, und der Index s deutet an. dass κ infolge der Stoßerhitzung hinter der Stoßfront nicht mehr den klassischen Wert für Luft von
1,402 besitzt, da durch Ionisation mehr Freiheitsgrade hinzukommen. Unterhalb von etwa 1000 kPa ist der Korrekturterm
vernachlässigbar; für höhere Drucke Für werden zunächst einige temporäre Variablen benötigt, über die dann die Korrektur für κ resultiert:
Dann ist
Aus den hier berechneten Größen folgt auch der Normalreflexionsfaktor Fn, der die Druckerhöhung bei senkrechter Reflexion wiedergibt (trivialerweise 2 bei gewöhnlichen Schallwellen):
Mit diesen Resultaten ergibt sich aus den Rankine-Hugoniot-Gleichungen die Ausbreitungsgeschwindigkeit und die Windgeschwindigkeit der Stoßfront:
-
Daraus ergibt sich durch Integration der reziproken Geschwindigkeit auch die Laufzeit der Druckwelle zu einem bestimmten Radius.
Skalierungsfaktoren
Der wichtigste Skalierungsfaktor ist die Sprengkraft- oder Sachs-Skalierung. Die Standardkurven sind für 1 kT definiert; für beliebige Energien W (gleicher mechanischer Anteil vorausgesetzt) ist für beliebige Längen- und Zeitgrößen L die
Gleichung
anzuwenden. Dabei ist W bereits ein auf den typischen mechanischen Anteil von Atomwaffen (etwa 50 bis 60 Prozent der Gesamtenergie) normiert. Für andere als nukleare Explosionen muss um das Verhälnis der mechanischen Anteile ξ korrigiert werden. Nimmt
man den Mittelwert 55% als Referenzwert für Nuklearexplosionen, so gilt für eine Explosion mit Energie E und mechanischem Anteil ξ
Für chemische Explosionen kann näherungsweise ξ = 1 gesetzt werden. Für gegebenen Luftdruck P und Temperatur T gehen zudem
-
in die korrigierte 1-kT-Druck- und Zeitkurve ein:
Der Zeitskalierungsfaktor ist für die Laufzeit der Druckwelle von Bedeutung. Über Druck bzw. Temperatur wird auch die weiter unten benötigte Schallgeschwindigkeit skaliert.
Modell für Luftexplosion mit Reflexion
Abb. 2: Abhängigkeit der Isobaren-Radien von der Detonationshöhe
Das DNA-Modell beschreibt auch die Druckwelle bei Luftexplosionen, also unter Berücksichtigung der Reflexion an der Oberfläche. Bei der Berechnung sind zwei Regime zu unterscheiden, nämlich das Regime der regulären Reflexion und das der Mach-Reflexion. Für das erstere
benötigt man neben dem oben berechneten Normalreflexionsfaktor Rn noch einige temporäre Variablen und Koeffizienten, um dann den Überdruck für reguläre Reflexion, OPreg berechnen zu können. Dabei wurde gelegentlich von Druckgrößen
nur der Betrag verwendet (z.B. in Exponenten oder bei nicht-ganzzahliger Potenzierung usw.), der Übersichtlichkeit wegen aber auf zusätzliche Symbole verzichtet.
Höhenkoeffizienten
Seien H und GR für eine 1-kT-Explosion gegeben. Dann sind die Raumdiagonale R der Einfallswinkel α der Primärfront sowie einige temporäre Variablen wie folgt definiert:
-
-
Grenzwinkel αM zwischen regulärer und Mach-Region und (Winkel-)Breite β der Zone, wo die Wellen verschmelzen, Hilfsvariablen und Schaltparameter σ:
-
Reguläre Reflexion
Ausgangspunkt ist die DNA-Standardfunktion, die auf die Raumentfernung R angewendet wird
und daraus
Ein Speziallfall ist die Situation im Hypozentrum:
Mach-Reflexion
Zunächst wieder ein paar Zwischenvariablen:
-
- C = max(A,B)
Nun setze 2^(-1/3)*GR anstelle von R in die DNA-Formel OP(R) ein und setze das daraus erhaltene Ergebnis OP1 hier ein:
Der Abstand GRM, an dem die Verschmelzung von direkter und reflektierter Welle einsetzt, lässt sich auch annähern durch
Gesamtamplitude
Der Gesamt-Überdruck OPair ist dann
Der dynamische Druck folgt dann mit dem Dichteverhältnis in der resultierenden Druckfront (anstelle der Standarddruckwelle) na=n(OPair):
Die Berechnung der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle kann nun mit OPair statt OPDNA geschehen; die Windgeschwindigkeit ws berechnet man sinnvollerweise aus DPair, weil dort die Restriktion auf die
Horizontale bereits berücksichtigt worden ist:
wobei ρ2 = n ρ0 die Dichte hinter der Stoßfront ist.
Laufzeit der Druckwelle
Um die Laufzeit der Druckwelle zu errechnen, ist die reziproke Geschwindigkeit der Stoßfront über die (auf die tatsächliche Sprengkraft skalierte) Entfernung zu integrieren. Bei Luftexplosionen sind hier zwei Wegabschnitte zu unterscheiden:
- Innerhalb der Mach-Zone GRM ist die Laufzeit mit der einer Freiluftexplosion (skalierte DNA-Standardexplosion) identisch. Für R ist dabei die Raumdiagonale vom Explosionszentrum zum Messpunkt einzusetzen. Die Refraktion
der Welle in der inhomogenen Atmosphäre kann normalerweise vernachlässigt und von einer geradlinigen Ausbreitung ausgegangen werden.
- Außerhalb der Mach-Zone bewegt sich die Stoßfront horizontal, daher ist erst die Strecke vom Zentrum zum Rand des Mach-Radius als Freiluftexplosion und von dort zum Messpunkt als Bodenexplosion mit der reflexionsverstärkten Druckwelle zu betrachten, welche sich
schneller fortpflanzt als die unverstärkte Welle.
Das DNA-Modell verwendet einen Näherungsfit, der ohne rechenaufwendige Integration auskommt. Zunächst wird eine Laufzeitfunktion für eine 1-kT-Freiluftexplosion definiert:
Für Freiluftexplosionen müssen jetzt nur R und tfree um die Kubikwurzel von W/kT skaliert werden. Für Luftexplosionen wird ein weiterer Korrekturfaktor benötigt:
Nun wird in die Laufzeitformel einfach Rν=R/ν statt R eingesetzt und das Ergebnis mit W^(1/3) skaliert:
Für von den Standardbedingungen stark abweichende Bedingungen können die obigen Skalierungsfaktoren auch für Luftexplosionen angewendet werden. Für große Detonationshöhen muss die numerische Integration mit anhand lokaler Längen- und Zeitskalierungen korrigierter
Ausbreitungsgeschwindigkeit verwendet werden.
Dauer der positiven Druckphase
Auch diese Formeln sind durchweg für 1 kT Sprengkraft gegeben und können wie die übrigen durch das Kubikwurzelgesetz skaliert werden. Wieder sind zunächst einige Hilfsgrößen zu definieren, zunächst eine Zeitskalierung:
Dann ist die Dauer der 1-kT-Überdruckphase am Boden
- ,
aus der ein "Rohwert" für die Überdruckdauer bei Luftexplosionen
gewonnen wird, wobei
Für beliebige Explosionshöhen für 1 kT Energie ist dann
Obige Formeln gelten für den Überdruck. Die Dauer der positiven dynamischen Druckphase ist infolge der Massenträgheit der Luft in der Regel etwas länger als die der Überdruckphase
Dauer des dynamischen Druckstoßes
Für die folgende Berechnung der dynamischen Druckdauer sollte der GR den Wert nicht unterschreiten. Substitution:
und , sowie
und
mit . Die auf 1 kT skalierte dynamische positive Phasendauer ist dann
- .
Nützliche Vereinfachungen
Im Falle einer Explosion direkt am Boden vereinfacht sich die Beziehung für die Reflexion dergestalt, dass die halbkugelförmige Druckwelle sich wie eine Freiluftexplosion doppelter Sprengkraft verhält. In diesem Fall ist also
Die Entfernung von der Bodenexplosion, in der ein bestimmter Druck OP angenommen wird, kann alternativ zum numerischen Lösen näherungsweise auch durch folgenden Fit bestimmt werden:
Diese Näherung für eine 1-kT-Explosion ist – in Bezug auf das Originalmodell – zwischen 0,3 und 10000 PSI (2,1 und 69000 kPa) auf ±1% genau.
Die Explosionshöhe, bei der der Grundradius GROP für einen bestimmten Druck OP maximal wird, ist näherungsweise gegeben durch die Beziehung:
Der durch diese Wahl von HOP maximierte Radius GROP ist dann ungefähr
Diese Formeln sind in Bezug auf das Originalmodell auf ±20% für H und ±10% für GR im Bereich von 0,1 bis 10000 PSI (0,69 bis 69000 kPa) jedoch unter Vernachlässigung der atmosphärischen Druckvariation
und für ebenes Gelände). Die Näherung ist allerdings ein Kompromiss zwischen dem BLAST-Modell und Daten aus Glasstone, Dolan, The Effects of Nuclear Weapons (1977). Die Abweichungen vom BLAST-Modell resultieren überwiegend aus den Abweichungen beider Quelldaten.
Grenzen des Modells
Grenzen für Eingabewerte
Das DNA-Modell ist in weiten Bereichen von Radius und Druck gültig. Räumliche Modellgrenzen skalieren wie alle übrigen Längenskalen mit der Kubikwurzel der Sprengkraft.
Eingabewerte |
Minimum |
Maximum |
Sprengkraft W / kT |
0,1 |
25.000 |
Höhe in Standardatmosphäre / m |
0 |
25.000 |
Höhe über Grund / m |
0 |
4000 SL W1/3 |
Ohne Reflexion: Radius R / m |
16 SL W1/3 |
4000 SL W1/3 |
Mit Reflexion: Grundradius GR / m |
LM |
4000 SL W1/3 |
H / m für dynamische Druckdauer |
0 |
750 SL W1/3 |
GR / m für dynamische Druckdauer |
LQ |
4000 SL W1/3 |
Dabei ist LM = 20 SL W1/3, falls H < 25 SL W1/3 und 0 sonst, sowie LQ = max(GRM,80 m). Die Modellgrenzen für die statische Überdruckphasendauer sind die
gleichen wie für den statischen Überdruck selbst.
Diese Grenzen sind recht konservativ gewählt; plausible Ergebnisse liefert das Modell, mit Ausnahme der dynamischen Phasendauer, noch in mehr als dem Doppelten der oberen Radiusgrenze, wenn nahezu ideale Bedingungen vorausgesetzt werden. Die W-Skalierung
beispielsweise ist theoretisch unbegrenzt und exakt gültig; die Grenzen ergeben sich vor allem aus dem Druckgradienten der Atmosphäre und den spezifischen Eigenschaften von Atomwaffen,
auf die sich das Modell ursprünglich bezieht.
Genauigkeit
Die Genauigkeit des Modells hängt stark von der Genauigkeit der Messwerte zusammen, für welche keine Angaben verfügbar sind. Abweichungen in Folge von nicht vorhersagbaren Umwelteinflüssen (Geländeformation, Winde, lokale Temperaturschwankungen usw.) sowie
Unsicherheit bei der gemessenen Sprengkraft führen zu teilweise erheblichen Fehlern. Für große Distanzen können Reflexion und Refraktion zu lokaler Bündelung von Wellenfronten und damit zu erheblich größeren Druckspitzen führen. Daher wird zudem der zumeist erheblich
geringere Fehler zu komplexen numerischen Modellen oder den theoretischen Werten (bei Näherungsformeln) mit angegeben.
Ausgabegröße |
Genauigkeit (bzgl. Theorie) |
Genauigkeit (bzgl. Beobachtung) |
Skalierungsfaktoren |
(exakt) |
unter 1% |
Überdruck Freiluft |
(gering) |
±15%–±30% |
Überdruck mit Reflexion |
±4% (max. 11%) |
±30% |
Laufzeit |
ca. 1% |
±15% |
Beispiel
Die wahrscheinliche Explosion eines Meteoroiden beim Tunguska-Ereignis lässt sich näherungsweise durch eine
Explosion von etwa 15 MT TNT-Äquivalent in ca. 8 km Höhe darstellen. Für solch eine Explosion liefert obiges Modell einen Überdruck von 101 kPa (knapp 1 atm)
im Hypozentrum, 35 kPa im Umkreis von 16 km (hier treten schwerste Verwüstungen auf, was sich mit den Beobachtungen deckt). Orkanartige Winde über 11 Bft treten im Umkreis von 30 km auf und lassen
noch einzelne Bäume umstürzen. In 65 km Grundradius beträgt der Druck noch mehr als 4 kPa, wodurch Fenster und Türen eingedruckt und Dächer beschädigt werden. Der Windstoß im Freien beträgt in diesem Abstand nicht mehr als 10 m/s (5 Bft), jedoch kann an Öffnungen (Türen,
Fenster) der Überdruck zu kurzzeitigen Strömungen von bis zu 69 m/s führen und Personen umwerfen. Dies deckt sich mit beobachteten Schäden und Zeugenaussagen in der Stadt Wanawara, die 65 km vom vermuteten Hypozentrum entfernt liegt. Dort traf die Druckwelle dem
DNA-Modell zufolge nach knapp drei Minuten ein (175 sek Fit, 176 sek integriert; Standardatmosphäre 1976).
Siehe auch: Detonationswelle, Atombombenexplosion